Profis
25.05.16

Große Kulisse zum Abschied

Große Kulisse zum Abschied

An Mats kommt keiner vorbei. Nicht, wer mit Jonas Hummels spricht. Meist früher, bestimmt aber später kommt die Rede auf den großen Bruder, den Weltmeister, den wohl teuersten Spieler, der je innerhalb der Bundesliga transferiert wurde. Dann kommen die Fragen an Jonas, wie schwer es ist, im Schatten zu stehen, immer von Mats erzählen zu müssen, nicht selbst zumindest in der Bundesliga angekommen zu sein. Jonas entgegnet dem mit entwaffnender Offenheit, er sei halt „nicht so fixiert“ gewesen auf den Profifußball wie Mats, sei lieber auch mal länger auf Festen geblieben und später ins Bett gegangen. Jonas, 25, verfolgte einen anderen Lebensplan als sein knapp zwei Jahre älterer Bruder. Und das, betont er, sei für ihn der richtige Weg gewesen.

Jonas Hummel bedauert nichts. Auch wenn er nun über das Ende seiner (im Vergleich zum Bruder eher bescheidene) Fußballer-Karriere nicht selbst entscheiden konnte („diese Entscheidung wurde vom Körper getroffen“), er ist glücklich mit dem, was er erleben durfte, was ihm der Fußball geschenkt hat. „Fußball in seiner reinsten Form“ sei das gewesen. Hier, bei der SpVgg Unterhaching, für die er neun Jahre lang gespielt hat, ging es immer um andere Dinge als um Geld und Erfolgsdruck, Dinge, die ihm wichtiger waren: Gemeinschaft, Zusammenhalt, Spaß. Er hat den Fußball geliebt, dieses fantastische Gefühl, wenn das Flutlicht brannte, der Rasen feucht war und dieser besondere Duft in die Nase stieg.

Das sind die Momente, denen er nachtrauern wird, nicht einer eventuell verpassten großen Karriere. Jonas Hummels könnte mit den vielen Verletzungen hadern, zwei Kreuzbandrisse, Arthroskopien, muskuläre Probleme haben ihn immer wieder zurück-, aber nie aus der Bahn geworfen. Er will, er braucht keine Ausreden. Es klingt fast ein bisschen fatalistisch, wenn er sagt, „Höhen und Tiefen gehören zum Leben“, er erinnert sich an Momente, die „besonders krass“, für ihn aber auch irgendwie „spannend“ waren: „13 Tage, nachdem Mats Weltmeister wurde, riss mir zum zweiten Mal das Kreuzband.“ Seitdem „habe ich gefühlt drei, vier Spiele gemacht“, aber auch, wenn er nicht auf dem Platz stand, Jonas war immer die Führungskraft, der Kapitän der jungen Hachinger Truppe.

Als einer von nur drei Spielern hat er nach dem Abstieg vor einem Jahr seinen Vertrag verlängert und damit „ein deutliches Zeichen gesetzt“, Präsident Manni Schwabl wird ihm das nie vergessen. Hummels ist ein „Typ“, einer, der über den Tellerrand des Fußballs hinausblickt, durch Eloquenz besticht und die Fähigkeit zur Empathie hat. Schon in seinem ersten Drittligaspiel 2011 hat ihn Trainer Heiko Herrlich zum Kapitän gemacht, mit 20, schon zuvor war er Spielführer der U18, U19 und U23. „Man wächst in die Rolle hinein“, sagt er, sie hat ihn geprägt, auch menschlich weitergebracht: „Für meine persönliche Entwicklung war der Fußball essentiell.“

Aber hat er sich nicht insgeheim nach der großen Bühne gesehnt, auf der sein Bruder spielt? Jonas erzählt vom „schönen Gefühl, vor 15.000 Zuschauern“ in Aachen, in Saarbrücken gespielt zu haben, vom Pokalsieg 2011 gegen Freiburg. „Traumhaft“ sei sein Leben, findet er. „Ich durfte Profifußball spielen, konnte trotzdem in München leben, in einer Studenten-WG, mit Freunden, hatte immer Spaß.“ Das Dasein als Star, das ständige Überwachtwerden in Zeiten der sozialen Medien, „das wäre nichts für mich gewesen“. Die „allgegenwärtige Heldenverehrung“ im Profifußball findet er „lächerlich“, darin ist er sich auch mit seinem Bruder völlig einig.

Hummels pflegt eine recht klare Sicht auf den Fußball, aufs Leben, schätzt die wirklich wichtigen Dinge, nicht das Geld. Fußball ist für ihn „Passion, Leidenschaft“, aber kein absolut vorrangiger Lebensinhalt: „Ich denke nicht, dass ich des Sports wegen mein Leben hier aufgegeben hätte, nach Erfurt oder Chemnitz gegangen wäre.“ Die SpVgg Unterhaching, sagt er, sei der ideale Verein für ihn gewesen, damals, als seine Zeit in der Nachwuchsabteilung des FC Bayern mit der U17 endete, war es ein „logische Schritt: Ich bin zehn Minuten vom Sportpark entfernt aufgewachsen, meine Mutter war hier zu Bundesligazeiten Pressesprecherin.“

Gekommen ist er als Deutscher Meister, beim 1:0 im Finale gegen Dortmund war er für Roberto Soriano eingewechselt worden, den heutigen italienischen Nationalspieler. Doch Hummels war Realist genug, um zu erkennen, „dass ich in der U19 keine Chance gehabt hätte“. Komisch sei es zwar schon gewesen, plötzlich statt nach Stuttgart oder Frankfurt „zu einem Punktspiel nach Freilassing“ zu fahren, doch irgendwie genoss er diese Herzlichkeit, das Familiäre bei Unterhaching, „wo nicht alles so wichtig genommen wurde. Darum geht es doch, die Kids sollen Fußball spielen, Spaß haben und nicht ans große Geld denken.“ Für Jonas Hummels war es ein „Schritt weg vom professionellen Fußball“, dass er danach dennoch Drittliga-Profi werden konnte, sieht er als „Bonus“, der ihn nun, da alles zu Ende ist, „positiv zurückblicken“ lässt.

Auch wenn es in den letzten Jahren nicht mehr allzu viele Spiele waren, die er im Hachinger Trikot bestreiten konnte, es bleiben wunderbare Erinnerungen wie an den Abstiegskampf 2014, als Hummels nach der Roten Karte von Kapitän Maxi Welzmüller nach langer Pause wieder gebraucht wurde, von Christian Ziege ins kalte Wasser geworfen wurde und in den beiden fast schon entscheidenden Spielen gegen Elversberg und in Stuttgart jeweils ein Tor machte. „Stimmungsmäßig habe ich alles mitgenommen“, die Euphorie nach dem Klassenerhalt, aber auch die bitteren Momente, als es mit Krücken auf der Tribüne schwerfiel, sich mit Fans und Kollegen zu freuen: „Es war ein beklemmendes Gefühl, nun nicht mittendrin sein zu dürfen.“

Das wird er auch künftig vermissen, da sich sein Leben nun in eine neue Richtung dreht. Sein Psychologie-Studium, als Fernstudium betrieben, will er nun an einer Uni fortsetzen, den Master machen und vielleicht mal zurückkehren in den Fußball. Vielleicht als Sportpsychologe, vielleicht als Trainer. Dieses Spiel lässt ihn nicht los, auch wenn sich die Prioritäten weiter verschieben.

Letzten Samstag, als Mats mit Borussia Dortmund gegen seinen künftigen Verein FC Bayern um den DFB-Pokal kämpfte, war Jonas beim Examensball seiner Freundin. „Die feiert nur einmal Examen, beim Pokalfinale war ich schon viermal.“ Sein Leben hat viel mehr zu bieten als nur Fußball, damit kommt er sogar an Mats vorbei. 

Reinhard Hübner