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31.12.22

Zukunftsaktie? „Der will einfach nur kicken“

Maurice Krattenmacher startet nicht nur bei der SpVgg Unterhaching in der Fußball-Regionalliga Bayern so richtig durch. Der 17-Jährige aus Bad Aibling wird als ganz heiße Zukunftsaktie im gerade nach Talenten lechzenden deutschen Fußball gehandelt. Die OVB-Sportredaktion hat den überall Vielgelobten getroffen. 

VON THOMAS NEUMEIER Ein Artikel aus dem Oberbayerischen Volksblatt

Unterhaching – „Maurice ist der torgefährlichste Mittelfeldspieler, den ich in den letzten Jahren im Nach- wuchs gesehen habe“, ur- teilt Hermann Gerland über Krattenmacher. Der langjährige Talente-Entwickler des FC Bayern, der aktuell als einer der Co-Trainer im deutschen Nationalteam fungiert, muss es ja wissen. Immerhin hat er späteren Weltmeistern wie Philipp Lahm, Thomas Müller und Bastian Schweinsteiger den Weg nach ganz oben mit bereitet. Und so lautete seine Empfehlung an Sandro Wag- ner, Cheftrainer bei der SpVgg Unterhaching: „Wenn du mir einen Gefallen tun magst, dann lass bitte im- mer den Maurice spielen.“ Wagner, als Aktiver selbst Profi und Nationalspieler, aktuell auch einer der modernen Fußball-Erklärer im TV, musste man das nicht zweimal sagen. Denn: „Er ist der beste junge Spieler mit 17 Jahren, den ich je gesehen habe und ich habe schon viele gesehen!“ Für Wagner ist klar: „Wenn du so viel Talent hast wie Maurice und dazu im Kopf die richtige Einstellung, dann ist es schwer aufzuhalten, dass er eines Tages in der Bundesliga spielt.“ Die Zukunft Krattenmachers ist auch für Unterhachings Präsident Manfred Schwabl klar: „Maurice kann der nächste Millionentransfer werden.“ So wie erst kürzlich Karim Adeyemi, der auch im Hachinger Nach- wuchs geprägt wurde und jetzt im deutschen WM-Ka- der auftauchte. 

Foto: Sven Leifer – v.li.: Maurice Krattenmacher (Unterhaching, 17) wird nach seiner Auswechslung von Trainer Sandro Wagner (Unterhaching) geherzt

Parallelen mit Karim Adeyemi sind unverkennbar 

Die Parallelen mit Adeyemi sind ja unverkennbar. Auch einst im Nachwuchsbereich vom FC Bayern zur SpVgg Unterhaching gewechselt – bei Krattenmacher war es im Halbjahr in der U12 – und dann dort durchgestartet. Über Österreich (FC Liefering und Red Bull Salzburg) ging es dann ins Nationalteam und zu Bo- russia Dortmund. Doch Vergleiche mit Adeyemi perlen beim Hachinger Talent ab: „Das höre ich öfter, ist mir aber egal.“ Krattenmacher behält im Gespräch am großen Tisch in Schwabls Präsidentenzimmer in dem auch das original DFB-Trikot von Adeyemis Länderspiel-Debüt hängt bei leuchten- dem Adventskranz und Holunderschorle den Fokus ganz bei sich. Die Lobeshymnen? „Das freut mich sehr, davon kann ich mir aber auch nichts kaufen.“ Seine eigene Saisonbilanz? „Anfangs war’s gewöhnungsbedürftig, am Schluss ganz gut.“ Seine DFB-Premiere? „Ich hatte es leicht, weil es schon 6:0 stand, als ich rein bin.“ Den Fehlschuss im Elferschießen im Viertelfinale bei der U17-EM gegen Frankreich? „Mittler- weile ärgere ich mich nicht mehr. Ich kann’s ja nicht mehr ändern.“ Den Verzicht aufs Partyleben wie viele andere Jugendliche? „Wenn wir Saison haben, dann konzentriere ich mich auf die Spiele. Ansonsten brauche ich das gar nicht.“ Der Weg von Adeyemi? „Das hat er gut gemacht.“ Seinen eigenen Weg für die Zukunft? „Ich habe mir selbst noch keine Gedanken gemacht. Irgendwann Bundesliga spielen wäre ein Traum.“ 

Foto: Sven Leifer – v.li.: Maurice Krattenmacher (Unterhaching, 17) Younes Aitamer (Bayern München, FCB, 17) im Zweikampf

Ein Traum war 2022 für Krattenmacher in jedem Fall. Die ersten Herrenspiele, die Berufung in den deutschen Kader für die U17-Europameisterschaft, dazu den Abschluss an der Wirtschaftsschule Alpenland geschafft. Dort hat der 17-Jährige die Mittlere Reife gemacht in Verbindung mit Länderspielabstellungen, den Vormittagstrainings bei den Profis und der größeren körperlichen Belastung im Herrenbereich ein kleiner Drahtseilakt. „Er stand unter einer extremen Belastung“, bekennt Schulleiter Randolf John, „er musste sich den immer größer werdenden Herausforderungen des Fußballs und den Herausforderungen der Schule stellen“. Und: „Er hat diese fast buddhistisch angenommen.“ Letztlich war der erfolgreiche Abschluss ein Gemeinschaftsprojekt: „Ich hatte eine Riesenunterstützung vom Verein und der Schule“, freut sich der 17- Jährige. Bei Länderspielabstellungen erhielt Krattenmacher den Schulstoff digital, mit Nachhilfelehrern aus Unterhaching wurde das Verpasste nachgeholt. „Da haben alle Verein, Schule, die Eltern und natürlich Maurice an einem Strang gezogen. Das Ergebnis spricht für die gute Kooperation“, erklärt John, der be- tont: „Wir haben ihn unter- stützt, ein bisserl gezogen, ihm wurde aber nichts geschenkt.“ Entscheidend sei das rechtzeitige Handeln von Unterhachings Präsident gewesen, so der Schulleiter: „Manfred Schwabl hat damals den Stier bei den Hörnern gepackt. Wäre er ein Vierteljahr später gekommen, dann hätten wir das wohl nicht so gepackt.“ Krattenmacher ist „sehr froh darüber, dass ich den Abschluss habe“. Gab’s denn Druck vom Präsidenten? „Ja, schon“, bekennt der Youngster. „Es war nie so schlimm, dass ich keine so guten Noten hatte. Aber er hat schon erwartet, dass ich den Abschluss solide schaffe.“ 

Foto: Sven Leifer – Präsident Manfred Schwabl (Unterhaching) und Maurice Krattenmacher

Nun kann er sich, nach- dem er kurz vor Heiligabend auch noch den Führerschein gemacht hat, erst einmal komplett aufs Fußballspielen konzentrieren. Und da hat er noch einiges aufzuholen, wenn es nach ihm geht. „Körperlich muss ich immer noch im Herrenbereich ankommen.“ Über den Sommer hat er mehrere Kilogramm Muskelkraft auf- gebaut, ist aber immer noch recht schlaksig. In der freien Zeit arbeitet er aktuell zusätzlich mit Hachings Athletiktrainern. „Athletik, Ausdauer und Kopfballspiel“ sieht Krattenmacher noch als seine Schwächen an, „da habe ich noch sehr viel Luft nach oben“. Krattenmacher sieht sich als offensiven Mittelfeldspieler, als Zehner. „Sein erster Ballkontakt, das Intuitive“, beschreibt Schwabl als Stärken. Und seine Torgefahr: Mit 23 Toren in 20 Spielen hatte Krattenmacher großen Anteil, dass Unterhachings B-Junioren Vizemeister in der Bundesliga wurden. Und in der Herren-Regionalliga stehen mittlerweile schon vier Tore und vier Vorlagen in 16 Spielen zu Buche. „Und das waren alles entscheidende Tore“, klärt Schwabl auf. „Im Normalfall brauche ich nicht viele Chancen“, sagt der 17-Jährige, der beim TuS Bad Aibling seine ersten fußballerischen Schritte machte. „In der U17 hatte ich immer meine drei Chancen pro Spiel – und da sind dann im Schnitt ein bis zwei Bälle reingefallen.“ 

Krattenmacher besitzt die „Gabe, Spiele gewinnen zu können“ 

Der Durchstarter, der in Unterhaching einen Vertrag bis 2025 besitzt, hat aber noch etwas, was Schwabl begeistert. Der Präsident nennt es „Coolness und keine Versagensangst“. Und er erzählt die Geschichte eines U15-Spiels gegen den 1. FC Nürnberg, in dem Krattenmacher als jüngerer Jahr- gang mitmischte. „Kurz vor Schluss lagen wir 0:1 hinten und haben einen Elfmeter bekommen. Und wer haut den rein? Der jüngere U14-Spieler!“ Sein Fazit: „Da gehört viel mehr dazu als nur Talent.“ Marc Unterberger, bei den B-Junioren Trainer von Krattenmacher und aktuell A-Junioren-Coach in Unterhaching, ist fasziniert von „seiner Gabe, Spiele gewinnen zu können“. Er hatte schon einmal begeistert erzählt: „Es sind diese besonderen Momente, wenn nur einer auf dem Sportplatz weiß, was als Nächstes passiert und der heißt Maurice!“ Unterberger erklärt weiter: „Wollen können viele, aber das auch auf dem Platz zu können, das ist schon eine außergewöhnliche Qualität.“ 

Und dann kommt der Trainer auf eine weitere Eigenschaft zu sprechen, die alles andere noch überstrahlt. „Er ist brutal demütig. Maurice möchte nicht auffallen, obwohl er allen Grund dazu hätte.“ Ins gleiche Horn bläst auch Schulleiter John: „Er ist sehr bescheiden und hat sein Talent in keinster Weise in den Vordergrund gespielt.“ Als Schwabl das hört, frohlockt er. „Maurice ist sehr bodenständig und will einfach nur kicken.“ Deshalb hätten ihn auch die erfahrenen Kicker in Hachings Regionalliga-Team ins Herz geschlossen. „Die haben ihn voll aufgenommen, weil er einfach ganz normal ist.“ Natürlich mit allen mannschaftsinternen Pflichten klar, dass der Jüngste die Bälle schleppen, die Kabine aufräumen und im Kreisspiel stets als Erster in die Mitte muss. „Ich bin immer der Jüngste und muss alles machen, was nicht so Spaß macht“, sagt Krattenmacher, beschwert sich aber nicht: „Das gehört dazu.“ 

Gerade diese Charaktereigenschaft der Bodenständigkeit ist das, was sich der 17-Jährige unbedingt erhalten muss, wenn es nach Schwabl geht. „Das ist ein ganz wichtiger Punkt in der heutigen Zeit. Dieser ganze Hype mit Social Media und dem Drumherum fällt ei- nem immer wieder auf die Füße. Ich sage immer: Lass dich nicht ablenken, sei bodenständig, anständig und mach auf dem Platz dein Ding dann kommt etwas Großes raus!“ Der Haching-Boss sieht im Bad Aiblinger sogar einen der Prototypen für die Zukunft. „Nach solchen Leuten lechzt ganz Fußball-Deutschland. Jamal Musiala ist so einer. Der ist höflich, bescheiden, wohnt noch daheim und auf dem Platz richtig gut. Bei dem geht mir das Herz auf!“ Schwabl blickt auf seinen Rohdiamanten: „Maurice ist noch jünger, aber mit ähnlichen Eigenschaften. Wer will denn noch die Oberwichtigen, die mit einem goldenen Ferrari rumfahren? Wir brauchen in unserer Gesellschaft Vorbilder, die auf dem Boden sind. Ob Maurice im Sport durchstartet oder nicht, das weiß letztendlich keiner. Allerdings wird ihm aus meiner Sicht niemals eine Überheblichkeit im Wege stehen!“ 

Eine Viertelstunde nach dem Gespräch im Präsidenten-Zimmer sitzt Maurice Krattenmacher in der Ha- chinger Stadionwirtschaft und wartet darauf, abgeholt zu werden. Er sitzt im hintersten Eck, fast nicht zu erkennen. Auffallen will er nur auf dem Rasen.